Freitag 17.10. nachmittags
58°59’39.71″N  5°15’3.26″E

Wir verlassen Stavanger bei strahlendem Sonnenschein. Ein alter Norweger mit einem noch älteren Motorboot bringt uns und die TRES HOMBRES aus dem Hafen. Vor uns liegt der Fjord genauso ruhig wie bei unserer Ankunft, kaum ein Lüftchen hilft uns voranzukommen, weshalb wir uns mit dem Dingi ein wenig Anschubhilfe verschaffen.

Die Stimmung an Bord ist gut, wir freuen uns auf die nächste Etappe und genießen die Sonne. Das kann auch nicht die Ansage von Kapitän Arjen trüben. Wir erwarten stürmisches Wetter. Ein Tiefdruckgebiet zieht über die südliche Ostsee hinweg. Es bringt östliche bis südöstliche Winde, eigentlich ideal für unsere Route, aber wir müssen uns auf viel Wind und hohe Wellen vorbereiten.

An Deck werden Leinen gespannt, in die sich in den kommenden Tagen jeder mit seinem Klettergeschirr einklicken kann. Nicht über Bord gehen. Das ist die wichtigste aller Vorsichtsmaßnahmen.

Dann werden, wie immer zu Beginn einer neuen Etappe, die Wachen eingeteilt. Es bleibt weitestgehend bei den alten Besetzungen. Gut eingespielte Teams, in die sich die beiden in Stavanger neu an Bord gekommenen Trainees einfügen.

Samstag 18.10. 0-4 Uhr Wache
 58°32’55.50″N   2° 1’55.83″E 

Wie angekündigt hat der Wind deutlich an Kraft zugenommen. Aus dem lauen Lüftchen ist stürmisches Wetter geworden und als ich aus meiner Koje an Deck komme, begrüßt mich die Gischt, die über Deck spritzt. Es ist dunkel, kalt und schneller als mir lieb ist bin ich von Kopf bis Fuß nass, aber noch hält mein Ölzeug das meiste Wasser draußen.

Bei zunehmendem Seegang wird es immer schwieriger, sich an Bord zu bewegen. Die Sicherheitsleinen sind eine willkommene Hilfe, aber dennoch muss jeder Schritt mit Bedacht gesetzt werden.

Ich ahne schon früh, dass ich unter diesen Bedingungen nicht lange fit bleiben werde, und irgendwann in der Mitte unserer Wache überkommt mich die Seekrankheit. Ich stehe gerade am Ruder, während alle anderen mit einem Segelmanöver beschäftigt sind. Keine schnelle Ablöse in Sicht, aber es hilft nichts, mein Magen will nicht mehr. Zwei Schritte Richtung Reling, mehr ist nicht drin, dann muss ich wieder auf meinen Posten, koste es, was es wolle. Kurz aufbäumen, kämpfen und weiter machen. Es ist bei diesen Wellen ohnehin nicht einfach, den Kurs zu halten.

Ich weiß, was jetzt auf mich zukommt, zwinge mich ausreichend Wasser zu trinken, damit ich nicht dehydriere und, auch wenn ich nur wenig davon bei mir behalte, ist dies ein wichtiger Teil meiner Strategie für die nächsten Tage.

Samstag 18.10. 8-14 Uhr Wache
58°19’45.97″N   0°36’9.11″E

Im Nachgang kann ich mich kaum noch daran erinnern, wie ich den ersten Sturmtag an Bord verbracht habe. Zu sehr vermischen sich die Erinnerungen der einzelnen Tage, zu ähnlich sind die immer wieder gleichen Abläufe aus Aufstehen, sich zu den Segelmanövern aufraffen, gegen Seegang und Übelkeit kämpfen und sich nach wenigen Schritten wieder hinsetzen. Erschöpft als hätte man einen Marathon absolviert.

Der Sturm treibt uns mit mehr als zehn Knoten Fahrt in Richtung der schottischen Küste, wo wir, so der Plan, nahe der Küste weniger starkem Seegang ausgesetzt sein werden.

Sonntag 19.10. 4-8 Uhr Wache
57°57’22.48″N   1°24’28.59″W

Ich liege an Deck. Nach mehreren Segelmanövern in dieser Hundewache kann ich mich sowieso kaum noch auf den Beinen halten. Ich bin komplett durchnässt und mir ist bitterkalt. Trotzdem falle ich für einen kurzen Moment in einen tiefen Schlaf. Keine Ahnung, wie lange ich so da liege, während um uns herum immer noch der Wind tost und Wellen über Deck schlagen. Aus dem kurzen Moment eines vagen Traumes werde ich gerissen, als eine Welle von Backbord über Deck geht und mich erwischt, als würde mir jemand einen Eimer kaltes Wasser direkt ins Gesicht schütten. Wo bin ich? Kurze Orientierung. Um mich herum scheint alles in Ordnung zu sein, kein Grund zur Panik.

Sonntag 19.10. 14-20 Uhr Wache
57°33’3.18″N   1°46’32.37″W

Schottland. In Sichtweite der Küste fahren wir, jetzt bei nordwestlichen Winden Richtung Süden. Der Sturm hat sich etwas beruhigt, das Tiefdruckgebiet liegt nun hinter uns und über Aberdeen scheint sogar die Sonne. Der Seegang hat nachgelassen und ich atme auf.

Zum ersten Mal seit wir Stavanger verlassen haben, haben wir eines der sonst üblichen 14:00 Uhr Treffen, bei dem die gesamte Besatzung zusammenkommt. Kapitän Arjen fasst kurz zusammen, was wir hinter uns haben und was vor uns liegt. Das erste Sturmtief ist wie erwartet vorüber. Aber innerhalb der nächsten zwölf Stunden wird ein neues aufziehen. Die Überreste von Hurrikan Gonzalo. Und das bedeutet für uns nicht weniger, als dass wir die Strapazen der nächsten Tage noch einmal durchmachen müssen.

Ich bin erschöpft, wie ich es vielleicht noch nie in meinem Leben zuvor war. Ich habe praktisch keine trockene Kleidung mehr und selbst wenn ich noch ein trockenes T-Shirt ausgrabe, so ziehe ich eine durchnässte Jacke darüber. Es macht einfach keinen Unterschied mehr.

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