Über dem Atlantik scheint die Sonne, und der Wind weht konstant mit zehn bis fünfzehn Knoten aus Ost-Nordost. Wir heben den Anker in Faixa de Agua und nehmen Kurs auf Barbados. Die ersten beiden Tage regt sich fast nichts auf dem Meer um uns herum. Ruhig liegt der Atlantik da, und die TRES HOMBRES schiebt sich sanft Tag um Tag mehr als hundert Meilen nach Westen. Wir setzen Leesegel, spielen mit zusätzlichen Segeln unter dem Groß- und unter der Fock, bis sich vor uns eine geschlossene Wand aus Tuch erhebt.

So entspannt wie während der Atlantiküberquerung war es seit meiner Abreise noch nie an Bord. Wir haben auf ein System mit drei Wachen umgestellt. Das heißt ab sofort sechs Stunden Wache und danach zwölf Stunden am Stück frei. Nach wie vor rotiert das Wachsystem so und man ist immer wieder zu anderen Tageszeiten dran, aber nach jeder Wache kann man erstmal ausschlafen und danach ist immer noch Zeit an Deck zu sitzen, die Sonne zu genießen, ein Buch zu lesen oder einfach nur auf’s Meer zu schauen.

Das erste Mal gibt es so etwas wie Freizeit an Bord. Und entgegen der ernsthaft vom Kapitän und den Mates geäußerten Bedenken führt das nicht zu Langeweile oder gar Depressionen unter den Crewmitgliedern. Allenthalben wird Kram aus Kokosnüssen gebastelt, geschnitzt oder eben gelesen und auf die See geguckt. Und wenn eine Hand gebraucht wird, sagt auch niemand nein. Wache hin oder her.
Und doch ist klar, dass dieses System mit drei Wachen eine Ausnahme bleiben wird. Im Passatwind, der konstant und immer aus der gleichen Richtung weht, müssen keine Manöver gefahren werden und vier Leute pro Wache reichen aus. Schon in der Karibik wird das wieder anders werden.

Wir feiern Weihnachten mitten auf dem Meer. Wobei gar nicht so richtig Weihnachtsstimmung herrscht und auch keine große Melancholie aufkommt. Nur wenige von uns nutzen das Angebot, per Satelitentelefon ein kurzes Gespräch mit der Heimat zu führen. Für mich persönlich ist es wie erwartet. Ich bin weit weg und verliere eigentlich kaum einen Gedanken an Weihnachten.

Fünf Tage später überqueren wir, unmerklich in der Morgenwache, die Halbzeitmarke. Von hier aus sind es noch etwas mehr als tausend Meilen bis wir die andere Seite erreichen. Der Wind hat schon seit ein paar Tagen zugenommen und eine günstige Wetterprognose lässt uns darauf hoffen, dass wir nicht länger als zwei Wochen für unsere Überquerung brauchen werden.

Passend zu Silvester habe ich Nachtwache von 20 bis 2 Uhr. Aber die Uhren an Bord ticken anders. Unsere Bordzeit ist seit Tagen so eingestellt, dass wir zum Sonnenuntergang zu Abend essen können. Obwohl meine Wache einstimmig dafür ist, bei der Tradition zu bleiben und das neue Jahr um Mitternacht zu begrüßen, werden wir überstimmt. Der Countdown findet also irgendwann am späten Nachmittag statt. Und diesmal lässt die Crew es sich nicht nehmen zu feiern. Es gibt Musik und der Kapitän packt ausnahmsweise sogar den Rum aus.

Noch drei oder vier Tage werden wir auf See sein, und auch, wenn es bei weitem nicht so schlimm ist, wie Sven Regener beschreibt, kreisen meine Gedanken in der Silvesternacht doch mehr um zu Hause als an Weihnachten.

Scheiß doch auf die Seemannsromantik
Ein Tritt dem Trottel der das erfunden hat
Niemand ist gerne alleine mitten im Atlantik
Diesmal mein Herz, diesmal fährst du mit
– Sven Regener (Element of Crime)

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